Gutachten des Glockensachverständigen für die Ev.-luth. Landeskirche Hannovers,
Dipl. Phys. Andreas Philip, Göttingen, vom 10. März 2005 (Auszug):
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Im Turm der Mauritiuskirche hängen an geraden Stahljochen drei historische Bronzeglocken, die ein ausgesprochen denkmalwertes Geläute bilden. Die Schlagtonfolge ist schwer zu fassen, entspricht jedoch ungefähr den Tönen d' h' e". ...
Zu den einzelnen Glocken ist folgendes festzustellen:
1) Die große Glocke wurde 1505 durch Hans Arnemann gefertigt, dessen Herkunftsort unbestimmt ist. Aus den Jahren 1487 bis 1508 sind mir sieben Glocken von ihm bekannt, davon vier erhalten. Darunter ist die Mauritiusglocke in Hardegsen bei weitem die größte. Sie mußte im Zweiten Weltkrieg nicht abgegeben werden, da sie auf der D-Glocken-Liste stand; das war das Verzeichnis der Bronzeglocken im Reich, deren dauernde Erhaltung aufgrund ihres hohen geschichtlichen oder künstlerischen Wertes befürwortet wird.
Die Glocke wiegt bei einem Durchmesser von ca. 1400 mm rund 1700 kg. Sie ist gegenüber der ursprünglichen Läuterichtung um 90° gedreht, der Schlagring bei einer originalen Stärke von 113 mm an den alten Anschlagstellen auf 104 mm (das entspricht ca. 8,0 %) abgenutzt. Das ursprünglich eingegossene Klöppelhangeisen fehlt (vermutlich entfernt), und die Haube wurde an zwei Stellen durchbohrt, um ein Ringgehänge zu befestigen, an dem der Klöppel hängt. Er ist mit einer Ballenstärke von 188 mm dem Stahljoch entsprechend grenzwertig bemessen. Außerdem wurde zur Anpassung der Glocke an das Stahljoch die hohe Mittelöse der Krone abgesägt und die Glocke hierdurch weiter verstümmelt.
Es wäre daher schon aus denkmalpflegerischen Erwägungen ausgesprochen wichtig, zum 500jährigen Bestehen der Glocke das ursprüngliche Erscheinungsbild durch ihre Restaurierung ... wiederherstellen zu lassen.
... Die schon jetzt klanglich beeindruckende Glocke wird nach der Restaurierung und mit wohlbemessenen Armaturen noch ungleich voller und weicher klingen.
2) Die mittlere Glocke stammt von einem nicht genannten Meister vermutlich aus der Zeit um 1300. Sie wiegt bei einem Durchmesser von ca. 840 mm rund 350 kg. Auch sie wurde um 90° gedreht und die Haube ebenfalls an zwei Stellen durchbohrt, um ein Ringgehänge zu befestigen. Das ursprüngliche Klöppelhangeisen ist nicht erhalten, die Mittelöse wurde ebenso wie bei der großen Glocke abgesägt. ...
Auch diese Glocke sollte ... restauriert und mit neuen Armaturen ausgestattet werden. Bei der Einschweißung des neuen Klöppelhangeisens ist unbedingt darauf zu achten, daß die im Innenbereich der Haube nach den vier Himmelsrichtungen angebrachten Buchstaben A G L A (das Tetragrammaton) unversehrt erhalten bleiben. Erstens sind solche Inschriften im Innenbereich von Glocken ausgesprochen selten, zweitens ermöglicht die Buchstaben-form eventuell eine genauere Datierung der Glocke (durch die Inschriftenkommission).
3) Die kleinste Glocke stammt ebenfalls von einem nicht genannten Gießer vermutlich vom Ende des 13. Jahrhunderts; es handelt sich jedoch um einen anderen Meister als bei der mittleren Glocke. Die kleinste Glocke läutet noch in der ursprünglichen Schwungrichtung, ist jedoch stark verstümmelt. Ein Kronenhenkel und das eingegossene Hangeisen fehlen; die Glockenhaube ist an vier Stellen durchbohrt, die Mittelöse abgesägt. Um die Glocke trotz des fehlenden Kronenbügels am Joch zu sichern, ist auf primitive Weise eine verbogene Schraube eingesetzt worden. Der Schlagring der Glocke ist an den alten Anschlagstellen von ursprünglich 52 mm auf 49 mm (das entspricht rund 5,8%) abgenutzt. Der ordentlich bemessene Klöppel (Ballenstärke 95 mm) hängt nicht in einem Ringgehänge, sondern an einer unter die Haube geschraubten Metallplatte und trifft die Glockenwandung in der richtigen Höhe.
Obwohl die Schwächung des Schlagringes bei dieser Glocke noch nicht so stark ist wie bei der mittleren, läßt doch das multiple Schadensbild eine Restaurierung der Glocke im Glockenschweißwerk dringend angeraten erscheinen. Hierbei muß ein neuer Kronenhenkel gegossen und angeschweißt sowie ein neues Hangeisen in die Haube eingeschweißt werden. Die vier Bohrlöcher in der Haube müssen geschlossen und der Schlagring muß durch Auftragschweißung auf die ursprüngliche Stärke gebracht werden. Die Ausstattung mit neuen, auf die Glocke abgestimmten Armaturen (Holzjoch und Klöppel) ist ... unumgänglich.
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Die äußerst denkmalwerten Glocken in Hardegsen brauchen dringend die Restaurierung und technische Neuausstattung. Hierzu gibt das große Jubiläum der Mauritiusglocke in diesem Jahr einen guten Anlaß. Die deutsche Glockenlandschaft ist durch die Requisitionen der beiden Weltkriege stark ausgedünnt, und wir müssen uns anstrengen, um die verbliebenen Glocken bestmöglich zu schützen. ...